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9. November 2024: Presseball statt Gedenken

Es ist doch ziemlich verwunderlich und zeugt von einer bedenklichen Geschichtsvergessenheit, dass der Presseball der "Augsburger Allgemeinen" dieses Jahr ausgerechnet am 9. November stattfindet, dem wichigsten und vielschichtigsten Gedenktag Deutschlands: Von der Ausrufung der Republik 1918 über den Hitler-Putsch 1923 und die Reichspogromnacht 1938 bis hin zur Öffnung der Mauer 1989. Nicht zu vergessen die Erschießung des Demokraten Robert Blum am 9. November 1848 vor den Toren Wiens, die das Ende aller Demokratisierungsbemühungen einläutete. Und nicht zu vergessen das leider gescheiterte Attentat von Georg Elser auf Hitler am Abend des 8. November 1939.

Statt dieses Datum in seiner Vielschichtigkeit öffentlich zu bedenken, feiert Augsburgs gesellschaftliche Elite lieber in der Kongresshalle.

Die Gedenkveranstaltung an die Reichspogramnacht wurde - mit Hinweis auf den Schabbat am 9. November - auf den 10. November verschoben. Doch endet der Schabbat am 9. November bereits um 17.30 Uhr. Daher findet etwa in München die Gedenkveranstaltung ab 19 Uhr statt, vgl. https://stadt.muenchen.de/infos/gedenken091123.html Dabei spricht auch Charlotte Knobloch ein Grußwort.

Und dass in Augsburg ausgerechnet der bayerische Innenminister Joachim Hermann als Gedenkredner eingeladen wurde, lässt befürchten, dass vor allem der sog. "israelbezogene" Antisemitismus sowie der islamistische Antisemitismus im Mittelpunkt stehen werden, aber nicht der rechte Antisemitismus und Rassismus, der letztlich auch für den 9. November 1938 verantwortlich war. Zudem plädiert Joachim Hermann auch für die Schließung der Grenzen für Flüchtlinge, ähnlich wie in den 1930er Jahren viele Staaten, insbesondere die Schweiz ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge geschlossen haben. Gerade deshalb wurde das Grundrecht auf Asyl in die bundesdeutsche Verfassung aufgenommen, das nun - insbesondere von der CSU! - wieder in Frage gestellt wird)!

Schade auch, dass die Gedenkveranstaltungen zum 9. November immer mehr zur "geschlossenen Gesellschaft" werden, die sich "nur auf Einladung" versammelt. Eine öffentliche Wirkung ist davon kaum zu erwarten. "Früher", in den 1980er und 1990er Jahren war das noch ganz anders...




Debatte über die geplante Antisemitismus-Resolution des Deutschen Bundestags

Nach über einem Jahr haben sich am 1.11.2024 die Fraktionschefs von SPD, FDP, CDU/CSU und Grünen auf eine gemeinsame Bundestagsresolution gegen Antisemitismus geeinigt. Die Resolution soll nach Möglichkeit noch vor dem symbolträchtigen 9. November verabschiedet werden.

Hier zunächst der Wortlaut des Entwurfs

https://fragdenstaat.de/dokumente/250143-nie-wieder-ist-jetzt-juedisches-leben-in-deutschland-schuetzen-bewahren-und-staerken/ 

Bereits im Vorfeld gab es erhebliche Kritik an der geplanten Resolution.


Einen Überblick über die Diskussion bieten

https://www.zeit.de/kultur/2024-11/resolution-antisemitismus-schutz-ampelkoalition-union 

https://taz.de/Kritik-an-Antisemitismus-Resolution/!6046478/ 


Alternative Formulierungsvorschläge wurden am 23.10.2024 in der FAZ veröffenticht:

https://www.faz.net/einspruch/exklusiv/antisemitismus-in-deutschland-debatte-um-bundestagsresolution-110063856.html 

Die Vorschläge werden unterstützt durch einen offenen Brief

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLScyErqrcDRrzrZ1EPuk6iX9x10g8JrwishN2rlnAhRyYZQwPg/viewform?pli=1


Kritik am Resolutionsentwurf kommt auch von amnesty international, pax christi und anderen Menschenrechts- und humanitären Hilfsorganisationen

https://www.amnesty.de/aktuell/deutschland-antisemitismus-resolution-gefaehrdet-grundrechte 


Kritik kommt aber auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen, die ihre Arbeit vor Ort durch die Resolution gefährdet sehen

https://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/am-ziel-vorbei-1-7795/ 

https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-resolution-bundestag-israel-100.html 


Hauptkritikpunkte sind

  • die Definition von "Antisemitismus" durch die IHRA-Definition (siehe unten), die es ermöglicht, Israelkritik bzw. sogar Kritik an der israelischen Regierung als "Antisemitismus'" zu brandmarken.
  • die Überprüfung von Förderanträgen gemäß der IHRA-Definition.
  • die Vermischung von Bekämpfung von Antisemitismus und bedingungsloser Solidarität mit Israel/ der israelischen Regierung.
  • und damit die Nicht-Benennung der eventuell völkerrechtswidrigen Vorgehensweise der israelischen Armee im Gaza-Streifen und im Libanon
  • die Nicht-Einbeziehung aller relevanten, vor allem auch der kritischen zivilgesellschaftlicher Organisationen bei die Erarbeitung der Resolution.


Ergänzende Kritikpunkte meinerseits:

  • Der Entwurf liest sich wie eine Aneinanderreihung verschiedener Entwürfe, ohne sie zu einem systematischen Entwurf zu verarbeiten: So geht es mit Gründen für die Resolution, mit der Vorgeschichte, der Beschreibung von Antisemitismus und den Zielen wild durcheinander, ebenso wie mit den vorgeschlagenen Maßnahmen.
  • Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem "israelbezogenen" und "links-antiimperialistischen" Antisemitismus sowie dem durch Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten importierten "islamistischen" Antisemitismus.
  • Peinlich finde ich den ausdrücklichen Dank an den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein. Ein Dank an die vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen fehlt jedoch ebenso wie die Forderung nach einer besseren Förderung dieser Gruppen.

Fazit: Die geplante Resolution wird die Diskussion nicht befrieden, sondern vielmehr befördern, vor allem bleibt die Definition des "harten" Antisemitismus sehr unscharf.